
Gelsenkirchen/Iserlohn/Siegen – 15. Februar 2021
Neue Erkenntnisse zum weitverbreiteten Krankenhauskeim Pseudomonas aeruginosa
Pseudomonas aeruginosa (lateinisch aerugo: Grünspan) ist ein gramnegatives, opportunistisches Stäbchenbakterium der Gattung Pseudomonas und ist für die Entstehung verschiedener Infektionen verantwortlich. Der Name „Grünspan“ bezieht sich auf die blau-grüne Färbung des Eiters, der bei Ausbruch der Infektionskrankheiten sichtbar wird. Interessant ist, dass Pseudomonas aeruginosa ein Krankenhauskeim beziehungsweise Boden- und Wasserkeim ist, der gegen die meisten Antibiotika resistent ist. Darüber hinaus ist P. aeruginosa für bis zu 15,4 % der Blutstrominfektionen (BSI) auf Intensivstationen in Westeuropa verantwortlich. Das Bakterium verursacht hohe Sterblichkeitsraten.
Eines der Medikamente, das gegen P. aeruginosa eingesetzt wird, ist das bakterizid wirkende Colistin. Das Reserveantibiotikum wird zur Behandlung von starken Infektionen eingesetzt, wenn die Behandlung durch andere Antibiotika fehlschlägt. Wenig erforscht ist, wie Virulenz und damit zusammenhängende Eigenschaften von P. aeruginosa, wie zum Beispiel die Biofilmbildung und die Serumresistenz, durch Aussetzung gegenüber sub-inhibitorischen Mengen Colistin verändert werden.
Auch wenn die Verbreitung von Colistin-Resistenzen bisher kein kritisches Maß erreicht hat, sind in einigen Fällen weltweit Resistenzen aufgetreten, insbesondere im Zusammenhang mit der zunehmenden Abhängigkeit von Colistin zur Behandlung gramnegativer bakterieller Infektionen. Aufgrund dieser Abhängigkeit ist es enorm wichtig, dass neue Maßnahmen ergriffen werden, um die Entwicklung von Resistenzen gegen dieses Medikament zu verhindern – gerade, weil es sich um ein Reservepräparat handelt, das häufig den letzten Ausweg für die erfolgreiche Bekämpfung der Infektion darstellt.
Eine mögliche Maßnahme ist es, Experimente zur mikrobiellen Evolution durchzuführen, um die molekulare Grundlage der adaptiven Evolution aufzudecken. Zu diesem Thema erschien am 25.01.2021 eine Studie mit dem Titel „Transcriptomic Basis of Serum Resistance and Virulence Related Traits in XDR P. aeruginosa Evolved Under Antibiotic Pressure in a Morbidostat Device” von Mumina Javed1,2, Benedikt Jentzsch1,2, Maximilian Heinrich1,2, Viola Ueltzhoeffer1, Silke Peter1,2, Ulrich Schoppmeier1, Angel Angelov3, Sandra Schwarz1 und Matthias Willmann1,2,4.
In der Studie wurde das Bakterium in einem halbautomatischen Morbidostat-Gerät mit dem Reserveantibiotikum Colistin, Metronidazol sowie einer Kombination der beiden Präparate über einen Zeitraum von 21 Tagen kultiviert. Durch eine RNA-Seq (auch als „Gesamt-Transkriptom-Shotgun-Sequenzierung“ bezeichnet) wurden transkriptionelle Veränderungen des Bakteriums im Zeitverlauf aufgedeckt.
Es handelt sich um die erste Studie dieser Art: Zum ersten Mal wurde die adaptive Evolution eines extensiv arzneimittelresistenten (kurz: XDR) P. aeruginosa Stammes in einer Morbidostat-Vorrichtung unter starkem Antibiotikadruck untersucht. Dabei zeigte sich, dass die Entstehung einer Colistin-Toleranz oder -Resistenz Auswirkungen auf phänotypische Merkmale haben kann, die im Allgemeinen mit der Virulenz des Bakteriums in Verbindung gebracht werden.
1Interfakultäres Institut für Mikrobiologie und Infektionsmedizin Tübingen, Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene, Tübingen, Deutschland
2Deutsches Zentrum für Infektionsforschung (DZIF), Partnerstandort Tübingen, Tübingen, Deutschland
3NGS Kompetenzzentrum Tübingen (NCCT), Tübingen, Deutschland
4Eurofins MVZ Medizinisches Labor Gelsenkirchen, Gelsenkirchen, Deutschland
Die Studie im Überblick: Veränderungen Virulenz-relevanter Eigenschaften und deren transkriptomische Grundlage
Im Rahmen der Studie wurden P. aeruginosa Stämme über einen Zeitraum von 21 Tagen in einer halbautomatischen Morbidostat-Vorrichtung gemeinsam mit folgenden Arzneimitteln kultiviert:
- Colistin
- Metronidazol
- Einer Kombination aus beiden Antibiotika
Das Ziel der Studie lag darin, den Beitrag von Metronidazol sowie die Resistenzentwicklung von Colistin bei Pseudomonas aeruginosa zu untersuchen sowie die Auswirkungen von Antibiotikastress auf die bakterielle Fitness, den Geno- und Phänotypen zu bewerten.
Die Kultivierung in einem halbautomatischen Morbidostat bietet mehrere Vorteile gegenüber traditionellen seriellen Transfer-Evolutionsexperimenten. In der Vorrichtung kann eine klinische Situation simuliert werden, da diese die Infektionskompartimente innerhalb des menschlichen Körpers imitiert, welche durch eine Antibiotikabehandlung nicht vollkommen beseitigt wurden. Ebendiese Infektionskompartimente werden subletalen Antibiotikakonzentrationen ausgesetzt, was zur allgemeinen Toleranz beiträgt.
Im Morbidostat kultivierte Isolate wurden mit sub-inhibitorischen Dosen von Colistin versetzt, wodurch ein konstantes Level an antibiotischem Druck erzeugt wurde. Die Zugabe von Metronidazol, welches keine bakterizide Wirkung auf P. aeruginosa hat, jedoch als Auslöser für eine Mutagene dokumentiert ist, führt zu einem deutlich veränderten Phänotyp.
Ergebnisse der Studie: mögliche Veränderung des klinischen Infektionsverlaufs
Durch eine RNA-Seq wurden die transkriptionellen Veränderungen im Zeitverlauf aufgedeckt. Es zeigte sich, dass die Bakterienstämme mit fortschreitender Zeit resistent gegenüber Colistin wurden. Diese Colistin-resistenten Stämme zeigten eine Reihe verschiedener Veränderungen:
- Signifikant erhöhte Biofilmbildung
- Serumresistenz, die sich nach sieben Tagen entwickelte
- Abnahme der Virulenz, wenn mit dem Galleria mellonella Infektionsmodell gemessen
In Fällen, in denen sich Colistin-Resistenzen bilden, nimmt das Virulenzpotenzial ab. Die Isolate sind allerdings in der Lage, im menschlichen Serum länger zu überleben und zu wachsen als Colistin-sensitive Stämme. Neben der Fähigkeit, eine größere Anzahl lebensfähiger Zellen im Biofilm aufrechtzuerhalten, deuten die Resultate der Studie auf das Potenzial einer Veränderung des klinischen Infektionsverlaufs durch signifikante evolutionäre Anpassungen unter antibiotischer Behandlung hin.
Diese phänotypischen Veränderungen der Colistin-resistenten P. aeruginosa Stämme zeichneten sich durch eine Reihe differenzieller Genexpressionsänderungen ab:
- LPS-Modifikationen,
- der Spermidin-Synthese (über speH und sepE), und
- dem Hauptstressantwort-Regulator rpoS.
Die Ergebnisse dieser Studie weisen darauf hin, dass unter subletaler Antibiotika-Konzentration eine klinisch bedeutsame, bakterielle Evolution vorliegt, welche das Potenzial hat, bedeutende Veränderungen im klinischen Verlauf der Infektion zu bewirken.